Co-Regulation wir leisten sie Tag und Nacht (und profitieren selbst oft ein Leben lang davon)

Meister Sabrina Still-und Laktationsberaterin IBCLC, Stillbeauftrage in Kliniken, Still- und Laktationsexpertin EISL, Familienberaterin InFanT

Unsere Babys und kleinen Kinder können ihre Gefühle noch nicht allein regulieren. Ihr Nervensystem ist noch in der Entwicklung – deshalb brauchen sie uns. Nicht als Kontrollinstanzen, sondern als sichere, regulierende Begleiterinnen und Begleiter, die da sind, wenn es innerlich zum Überlaufen kommt.

Was ist Co-Regulation überhaupt?

Co-Regulation kann bedeuten:

Ein Erwachsener stellt seine eigene innere Ruhe zur Verfügung, damit ein Kind zu seiner finden kann.
Ein weinendes Baby oder tobendes Kind braucht keine Korrektur, sondern Beziehung und Verbindung.
Es ist keine Technik, kein Trick und keine Methode zur Sofortberuhigung – sondern ein echtes Verbindungsangebot.

Vielleicht ist es der ruhige Atem.
Vielleicht die sanfte Stimme.
Vielleicht einfach nur das Dableiben – mitfühlend, zugewandt, präsent.

Co-Regulation wirkt über Spiegelneuronen: Wenn wir ruhig und präsent bleiben, spürt das Kind diese Sicherheit im eigenen Körper.

Schon im Mutterleib beginnt Co-Regulation

Babys sind bereits vor der Geburt mit unserem Nervensystem verbunden. Sie spüren unseren Stress, unsere Ruhe, unsere Emotionen.
Unsere emotionale Welt ist auch ihre – lange bevor sie geboren werden.

Schon im Mutterleib profitieren Babys von Co-Regulation:
Durch bewusste, ruhige Atemzüge, liebevolle Gedanken, sanfte Berührungen, Musik oder eine unterstützende Umgebung.

Co-Regulation beim (kleinen) Säugling

Ein Baby ist vollständig auf Co-Regulation angewiesen. Selbstregulation ist neurologisch noch nicht möglich – das limbische System und der präfrontale Kortex reifen erst über Jahre hinweg. Es braucht unser reguliertes Nervensystem als Vorlage.

Ein Baby, das gehalten, beruhigt und gewiegt wird, speichert diese Erfahrungen im Körpergedächtnis ab – als Grundlage für spätere Selbstregulation.

Je nach Temperament bringen Babys unterschiedliche Voraussetzungen mit:
Einige zeigen erste Ansätze von Selbstregulation, andere brauchen intensive, wiederholte Co-Regulation, um sich sicher entwickeln zu können.

Co-Regulation im Kleinkindalter

Zwischen dem ersten und sechsten Lebensjahr wachsen nicht nur Körper, sondern auch Emotionen – und die täglichen Überforderungen.
Das Kind ist kein Mini-Erwachsener, sondern befindet sich in einer intensiven Reifungsphase. Wut, Frust, Traurigkeit, Impulsdurchbrüche – all das sind Entwicklungszeichen.

Beispiel: Das zweite Eis

Ein vierjähriges Kind möchte ein zweites Eis. Die Antwort lautet: nein. Das Kind beginnt zu weinen oder wirft sich auf den Boden. Für das Kind ist diese Enttäuschung real.

Warum?
Der präfrontale Kortex, zuständig für Impulskontrolle und Frustrationstoleranz, ist noch unreif. Das Kind kann seine Gefühle noch nicht selbst regulieren.

Wie die Autorin Nora Imlau es formuliert:“ Kinder machen kein Drama – sie erleben eins

Was hilft jetzt?

  • Die Grenze darf stehen bleiben: „Heute gibt es nur ein Eis.“
  • Gleichzeitig darf Mitgefühl da sein: „Du bist richtig enttäuscht. Ich sehe das.“
  • Wir bleiben ruhig, begleiten das Gefühl.
  • Erst wenn das Nervensystem wieder in Balance ist, kann sich das Kind öffnen für Gespräche oder neue Impulse.

Co-Regulation bedeutet: Ich bin bei dir – auch wenn es schwierig wird.

Verbindung darf heißen: Sich immer wieder neu abstimmen

Co-Regulation ist kein festes Rezept, das jeden Tag gleich funktioniert. Was heute hilfreich war, kann morgen schon ganz anders wirken.

Ein zentraler Schlüssel liegt im regelmäßigen Abstimmen – mit der Situation, mit dem Kind und mit dir selbst.

Nicht jede Überforderung braucht dasselbe:

– Manchmal hilft Ruhe – manchmal Bewegung.
– Manchmal braucht es Nähe – manchmal den Raum, um im Beisein zur eigenen Mitte zu finden.
– Und manchmal ist das Nervensystem so überflutet, dass erst Entlastung nötig ist, bevor überhaupt echte Verbindung möglich wird.

Diese feine, achtsame Anpassung an den Moment macht Co-Regulation nicht komplizierter – sondern menschlicher. Es geht nicht darum, immer das „richtige“ zu tun, sondern wahrzunehmen, was gerade gebraucht wird.

Co-Regulation lädt uns ein, mitzufühlen, nicht zu kontrollieren.

Warum brauchen manche Kinder mehr Co-Regulation als andere?

Nicht alle Kinder benötigen gleich viel Unterstützung – das ist keine Frage von Erziehung, sondern Ausdruck ihrer biologischen Reaktionsweise.

Man unterscheidet:

  • Low reactive: Reagieren gelassener, regulieren sich oft schnell selbst.
  • Medium reactive: Zeigen moderate emotionale Reaktionen, brauchen gelegentlich Unterstützung.
  • High reactive: Reagieren besonders intensiv auf Reize, Übergänge oder Gefühle, geraten schneller aus dem Gleichgewicht und benötigen häufige Co-Regulation.

Diese Unterschiede basieren auf der individuellen Reizverarbeitung des Nervensystems – und nicht auf Charakter oder elterlichem Verhalten.

Warum Ablenkung nicht „falsch“ ist – besonders bei neurodivergenten Kindern

In bindungsorientierten Kontexten wird Ablenkung manchmal vorschnell als Vermeidung oder emotionale Abkapselung verstanden. Doch wenn wir genauer hinsehen, erkennen wir: Ablenkung kann – achtsam und bewusst eingesetzt – eine wertvolle Brücke sein.

Gerade bei neurodivergenten Kindern, deren Nervensystem besonders empfindlich auf Reize reagiert und häufiger in Dysregulation gerät, ist das entscheidend. In einem Zustand der Überflutung kann gezielte Ablenkung helfen, die emotionale Welle zu unterbrechen – und damit den Weg zurück zur Selbstregulation zu eröffnen.

Ablenkung bedeutet dann nicht, Gefühle zu verdrängen.
Sondern: dem System eine Pause zu geben. Ein kurzes Ausatmen. Ein Zwischenraum.

Das ist keine negative Ablenkung !

Das ist Fürsorge.

Ist Co-Regulation immer möglich – muss ich immer reguliert sein?!

Nein, Co-Regulation ist nicht immer möglich – und das ist menschlich.
Wir alle haben eigene Grenzen, Belastungen und Bedürfnisse. Niemand ist immer präsent, ruhig oder empathisch.

Entscheidend ist nicht, dass wir „immer alles richtig machen“, sondern dass wir verlässlich sind. Dass wir, auch nach Konflikten, wieder in Verbindung kommen.

Manchmal bedeutet Co-Regulation auch: Die Verantwortung für unser eigenes Nervensystem zu übernehmen. Und: Hilfe anzunehmen, wenn wir an unsere Grenze kommen.

Was kann helfen wenn der Stress steigt?

Gerade Eltern mit eigener hoher Reaktivität oder Eltern mit hoher Belastung (Schlafmangel, Erschöpfung, fehlende Unterstützung) sind besonders herausgefordert.

Was hilft im Alltag?

  • Ein bewusster Atemzug
  • Eine Mikropause am Fenster
  • Ein Glas Wasser
  • Die Füße spüren, eine Hand aufs Herz
  • Kontakt zu anderen: Gespräche, Umarmungen, ehrlicher Austausch, Rückzug (wenn Kind gut versorgt)
  • Sich selbst mitfühlend begegnen statt perfektionistisch

Regelmäßige Selbstwahrnehmung kann hier entscheidend sein:

  • Wie geht es mir gerade?
  • Was brauche ich – körperlich, emotional, sozial?

Auch Eltern haben Bedürfnisse: nach Rückzug, nach Paarbeziehung, nach Selbstwirksamkeit.
Manchmal braucht es eine Beratung oder therapeutische Begleitung, um eigene Gefühle oder Bedürfnisse überhaupt wahrnehmen zu lernen. Das ist kein Zeichen von Schwäche – sondern ein Schritt in Richtung Verbindung.

Das Ziel von Co-Regulation: Selbstregulation

Ein Kind wird durch wiederholte Co-Regulation fähig zur Selbstregulation. Es speichert: So fühlt sich Sicherheit an.

Diese Erfahrung wird zur inneren Basis – für emotionale Stabilität, Beziehungsfähigkeit und Resilienz.

Fazit: Mehr Verständnis – weniger Vergleich

Wenn wir verstehen, wie das Nervensystem funktioniert, hören wir auf zu fragen:
„Was mache ich falsch?“

Die wichtigere Frage lautet:
„Was braucht mein Kind – und was brauche ich, um da sein zu können?

Wenn Co-Regulation zur Belastung wird – und kann Begleitung helfen?

So kraftvoll Co-Regulation auch ist – sie kann anstrengend werden.
Wenn ein Kind ständig Nähe sucht, schnell aus dem Gleichgewicht gerät oder emotionale Ausbrüche Alltag sind, kommen viele Eltern an ihre Grenzen. Besonders dann, wenn auch noch Schlafmangel, andere Kinder, Beruf, Beziehung oder eigene emotionale Themen mitspielen.

Co-Regulation braucht Energie – und die ist nicht immer da.
Aber: Der Familienalltag lässt sich mit einigen konkreten Impulsen spürbar entlasten. Und genau hier  können z.B InFanT-Familienberater/innen  zur Seite stehen.

Ich begleite euch mit dem Blick auf eure gesamte Familie – auf das, was euch aktuell herausfordert, aber auch auf eure Stärken, Ressourcen und Bedürfnisse. Es geht nicht darum, dass ihr perfekt oder immer reguliert durchs Leben geht. Sondern darum, gemeinsam herauszufinden:

  • Was braucht euer Kind – und was braucht ihr?
  • Wie könnt ihr im Alltag kleine Momente der Entspannung schaffen?
  • Wo lassen sich Verantwortung und Co-Regulation neu verteilen?
  • Welche Strategien helfen euch individuell, statt nach Schema F?

Manchmal braucht es nur ein paar neue Perspektiven.
Manchmal ein bisschen Struktur oder das Sortieren der eigenen Gedanken.
Und manchmal einfach einen geschützten Raum, um ehrlich sagen zu dürfen: „So wie es gerade läuft, geht es nicht mehr.“

Ihr müsst das nicht allein tragen.
Ihr dürft euch begleiten lassen – mit Herz, Fachwissen und dem ehrlichen Blick auf das, was euch als Familie ausmacht.


Quellen und weiterführende Literatur

  • Imlau, Nora: So viel Freude, so viel Wut. Gefühlsstarke Kinder verstehen und begleiten. Kösel Verlag.
  • Cozolino, Louis: The Neuroscience of Human Relationships. W. W. Norton & Company.
  • Perry, Bruce D. & Szalavitz, Maia: The Boy Who Was Raised as a Dog. Basic Books.
  • Siegel, Daniel J. & Bryson, Tina Payne: The Whole-Brain Child. Random House.
  • Das schwierige Kind?: Herausforderndem Verhalten professionell begegnen – in Krippe, Kita und Grundschule Andrea Tures 
  • Kagan, J. (1997). Temperamental contributions to social behavior.

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